Friedrich Schneider Vita

Komponist, Organist und Herzoglich-Anhaltischer Hofkapellmeister


Friedrich Schneider, der den folgenden Generationen über 400 Chorwerke und zahlreiche weitere Kompositionen hinterließ, wurde zu seiner Zeit im gesamten deutschen Sprachraum für sein Tun als renommierter Künstler geachtet. Da seine Werke drohten, in Vergessenheit zu geraten, sieht es der Friedrich Schneider Chor als Ehre und gleichzeitig als Verpflichtung an, den enormen Nachlass Friedrich Schneiders, zumindest in Teilen, lebendig zu erhalten. Da Friedrich Schneider in Dessau über 30 Jahre schöpferisch tätig war, demonstrieren die Mitglieder des gleichnamigen Chores die besonders tiefe Verbundenheit zu ihrer Heimatstadt mit zahlreichen, jährlich wiederkehrenden regionalen Veranstaltungen. Dann werden neben traditioneller Chormusik auch Werke des Namensgebers präsentiert.


Johann Christian Friedrich Schneider, am 5. Januar 1786 in Alt-Waltersdorf (heute: Waltersdorf) bei Zittau geboren, erwarb sich bereits im kindlichen Alter ungewöhnliche Fertigkeiten auf fast allen Instrumenten und versuchte sich schon als Gymnasiast in der Komposition von Harmoniemusiken und Vokalmessen. Sein beruflicher Werdegang begann in Leipzig, wo er sich weniger dem Studium der „Humaniora", in der er eingeschrieben war, als der praktischen Musikausübung widmete.


Seine Professionen waren: Gesangslehrer an der Ratefreischule (1806), Organist an der Universitätskirche (1807), Musikdirektor bei der Secondaschen Schauspielgesellschaft, die abwechselnd in Leipzig und Dresden Spielte (1810-1813), Thomasorganist (1813), Leiter der Singakademie (1816) und Musikdirektor des Stadttheaters (1817). Schneider war 1810 der Solist bei der Uraufführung von Beethovens 5. Klavierkonzert. Das spricht dafür, dass er auch als hervorragender Konzertpianist galt. Schneiders kompositorisches Schaffen in der Leipziger Zeit umfasst beinahe alle Gattungen und fand seinen Höhepunkt in dem Oratorium „Das Weltgericht“, das sich weit verbreitete und zahlreiche Aufführungen erlebte. Für die von ihm mit gegründete Leipziger Liedertafel allein schrieb er 32 Gesellschaftslieder.


Die nicht ungebührliche Ambition Schneiders auf die Stelle des Thomaskantors konnte sich nicht erfüllen: Das Amt lag für lange Zeit in festen Händen. Ein Angebot des Dessauer Herzogs Leopold Friedrich veranlasste den in Leipzig Etablierten und in der Musikwelt schon hinlänglich Be- und Gerühmten zunächst zu erheblichen, das Für und Wider abwägenden Zweifeln („kleines Städtchen" einerseits, „musikalischer Alleinherrscher" andererseits). Zum vorbehaltlosen Glück für Dessau - und für zwei Jahrzehnte auch für Schneider - nahm er das Angebot an und übersiedelte 1821 nach Dessau. Nach einer Zeit der Stagnation, wenn nicht gar des Niedergangs, erlangte Dessau nach dem Wirken F.W. Rust´s von 1766-1796 wieder eine neue musikalische Blütezeit und den Ruf, eine Musikstadt zu sein.


Der 35-jährige Schneider, zunächst als „Herzoglich-Anhalt-Dessauischer Hofkapellmeister" bestellt, übernahm innerhalb eines Jahres die von ihm neugegründete Singakademie, die Liedertafel, den Herzoglichen Singechor, das Amt des Organisten an der Schlosskirche und wurde musikalischer Leiter des Hoftheaters und damit des Opernbetriebes. Seine Natur und sein Können, die ihm bereits in Leipzig a tempo presto zum Aufstieg und zu Anerkennung verhalfen, wurden auch an seiner neuen Wirkungsstätte sofort sicht- und greifbar: rastloser Fleiß, stetige Zielstrebigkeit, Organisationstalent und eine unglaubliche Schöpferkraft. Eine zumindest quantitative Vorstellung von seinem Arbeitspensum hat Schneider aus Anlass seines 25-jährigen Dienstjubiläums (1846) glaubhaft selbst notiert: Er hat in dieser Zeit in Dessau 597 Kirchenmusiken, 339 Opernvorstellungen (diese verbunden mit einer Unzahl von Proben), 886 Versammlungen der Singakademie und 241 der Liedertafel geleitet. Die Hofkapelle unter Schneiders Leitung galt als ein vortrefflicher Klangkörper. Trotzdem kann die Theaterarbeit nicht immer erquicklich gewesen sein, denn die Theaterdirektion (Intendanz) wechselte in seiner Amtszeit mehr als ein Dutzend Mal. Zu diesen quasi dienstlichen Aufgaben kam weiteres: Schneider komponierte. Sein Gesamtwerk umfasst (Auswahl):


16 Oratorien

32 Kantaten

7 Opern

23 Sinfonien

Kammermusikwerke

50 Gesänge für gemischten Chor

400 Gesänge für Männerchor und

200 Sololieder.


1829 gründete Schneider eine eigene Musikschule, die über mehr als 10 Jahre als Deutschlands renommierteste galt, und in der er eine internationale Schülerschar, aus der namhafte Musiker hervorgegangen sind, selbst nach eigenen Lehrmethoden unterrichtete. Die Konkurrenz des 1843 gegründeten Leipziger Konservatoriums war wohl der wesentliche Grund für die bald folgende Schließung der Dessauer Musikschule, die gleichsam als Vorläufer des Leipziger Instituts angesehen werden kann.


Eine gewichtige Einrichtung im bürgerlichen Muskleben des 19. Jahrhunderts war die Musikfestbewegung: die Aufführung großer Chor- und Orchesterwerke und anderer Genres unter Einbezug dilettierender Musiker und einem hohen Anteil zeitgenössischer Komponisten in Form eines mehrtägigen Festes an wechselnden Orten. Bei seinen Zeitgenossen stand nun Schneider in so hohem Ansehen, dass kaum ein Musikfest in Deutschland veranstaltet wurde, bei welchem er nicht entweder als Dirigent und Organisator oder als Komponist beteiligt war. Zwischen 1820 und 1851 sind mehr als 80 Musik- und Gesangsfeste dokumentiert, die unter seiner Leitung standen, was abermals Schneiders Potenzial als dirigierender Interpret und leistungsfähiger Organisator belegt.


Hinsichtlich Schneiders Verdienst und Engagement auf dem Gebiet des (Laien-) Chorwesens wird auf den einleitenden Abschnitt dieses Heftchens verwiesen.


Die letzten Lebensjahre müssen für Schneider wenig erfreulich gewesen sein. Trotz vielfältiger auswärtiger Dirigierverpflichtungen und einem Übermaß an Ehrungen in Form von Titeln, Orden etc., die ihn jedoch niemals zu den Begüterten aufsteigen ließen, zog er sich immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurück. Seine kompositorische Tätigkeit ließ nach einem zweiten Höhepunkt um 1830 immer stärker nach und kam in seinem letzten Lebensjahrzehnt fast völlig zum Erliegen. Es war ihm offenbar bewusst, dass ihm die neuen musikalischen Entwicklungen und Vorstellungen fremd blieben, und das aufreibende Leben forderte wohl auch seinen Tribut. Friedrich Schneider starb am 23. November 1853 in Dessau.


Einst weltweit berühmt und verehrt - eine Generation später bereits vergessen: das war das Fatum Friedrich Schneiders. Die Musikgeschichtsschreibung rechnet ihm jedoch an, dass er auf dem Gebiet des Oratoriums in einer Zeit der Stagnation zwischen Haydn und Mendelssohn-Bartholdy dieser Gattung eine Brücke baute. Schneider war kein Neuerer, er hielt sich an die Stilmittel seiner klassischen Vorbilder. Dabei entsprach das Lyrische und Besinnliche seiner Mentalität. Die Melodik seiner Vokalwerke ist schlicht und bewusst fasslich gehalten. Sie sind ganz zugeschnitten auf die bürgerlichen Musikvereine, die kulturelle Massenbewegung der Musikfeste und berücksichtigen damit auch, dass vielfach Laienchöre die Aufführenden waren. Man wird Schneider nicht gerecht, wenn man ihn ausschließlich mit seinen komponierenden Zeitgenossen wie Schumann, Mendelssohn-Bartholdy, Liszt oder Wagner wertend konfrontiert. Allein schon sein über 30-jähriger verdienstvoller Einsatz für das Dessauer Musikleben - und das in seiner ganzen Vielfalt - hat eine vorbildhafte und nachhaltige Wirkung gezeitigt, der man auch heute noch seine Reverenz erweisen muss.


Der umfangreiche Schneidersche Nachlass befindet sich in der Anhaltischen Landesbücherei (persönlicher Nachlass) und im Dessauer Stadtarchiv (Notenmaterial, Theatergeschichtliches). Er ist zum Teil noch unerschlossen, Günther Eisenhardt (Dessauer Symposium 1983) hat eine Auswahl heute noch aufführungswürdiger Werke Schneiders zusammengestellt.

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